Die Gewässer um Leipzig: Verkehrsadern und Lebensraum
Das Wasser und seine Nutzung spielten in der Kulturlandschaft um Leipzig von je her eine wichtige Rolle. Die Flussufer und Auen der Weißen Elster, der Pleiße und der Nebenflüsse waren schon vor tausenden von Jahren beliebte Siedlungsplätze. Hier betrieb man auch intensiv Fischfang, an der Pleiße noch bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts. Ein weit verzweigtes Netz aus Floßgräben diente mehr als 250 Jahre als Transportmittel.
Nutzung der Wasserkraft seit über 1.000 Jahren
Seit über 1.000 Jahren nutzen die Menschen in dieser Region die Wasserkraft der Flüsse, Wehre und Mühlgräben. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es rund 60 Wassermühlen entlang der Pleiße. Die Mühlgräben zogen sich bis ins Stadtgebiet von Leipzig.
Von „Klein Venedig“ zur Wasserstadt Leipzig
Auch in Leipzig hat die Wassernutzung eine lange Tradition. Die Innenstadt ist von unzähligen Flüssen, Kanälen und Mühlgräben durchzogen. In der Vergangenheit wurde Leipzig daher auch „Klein Venedig“ genannt. Heute spricht man gerne von der „Wasserstadt Leipzig“.
Kulturelle Bedeutung der Wasserwege nimmt zu
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die kulturelle Bedeutung der Wasserstraßen in und um Leipzig zu. 1835 wurden vom Leipziger Rat vier öffentliche Badeplätze zur Naherholung eingerichtet. 1842 eröffnete hier die erste Flussbadeanstalt Deutschlands. Zahlreiche Bootshäuser, Rudervereine und Bootsverleihstationen entstanden; 1888 die erste Motorbootstation. Es entwickelte sich ein reger Freizeitbootsverkehr auf der Weißen Elster und Pleiße. Bis in den 1930er Jahren reihten sich am Pleißmühlengraben Bootsverleih an Bootsverleih.
Der Braunkohleabbau beginnt
Ab dem 17. Jahrhundert grub man südlich von Leipzig nach Braunkohle, ab dem 18. Jahrhundert auch in kleinen, überschaubaren Tagebaugruben. Ab 1850 entwickelte sich der klassische Berg- und Untertagebau hier im größeren Stil. Vor der Industrialisierung wurde die Region überwiegend landwirtschaftlich genutzt. Die Eingriffe in die Natur und Landschaft waren zu dem Zeitpunkt noch relativ moderat; die Wälder aber schon weitgehend abgeholzt. Der Rohstoff Holz wurde knapp.
Industrie boomt
Mit der Auflösung der Zunftordnung in Sachsen (1861) und der Einführung der Gewerbefreiheit (1962) waren die Voraussetzungen geschaffen für die industrielle Entwicklung der Region. Die Textil- und Eisenindustrie boomte. Die Metallverarbeitung und der Maschinenbau entwickelten sich zu den führenden Industriezweigen.
Industrialisierung erzeugt Energiehunger
In der Hochphase der Industrialisierung war der Bedarf an preiswerter Energie so groß wie nie. Die Braunkohle wurde zum Befeuern der Dampfmaschinen und Heizöfen dringend benötigt und zum wichtigsten Energieträger im 1871 gegründeten Deutschen Reich.
Eisenbahn wird zum logistischen Rückgrat der Braunkohleförderung
Bereits zwanzig Jahre zuvor war die Eisenbahnstrecke Leipzig-Altenburg-München in Betrieb genommen worden. Das bildete später die logistische Grundlage für die Ausweitung der Braunkohleförderung, die rasch zur Schlüsselindustrie in Sachsen expandierte.
Bevölkerungsexplosion erhöht den Kohlebedarf
Die Industrialisierung brachte ein starkes Bevölkerungswachstum mit sich. Auch das erhöhte den Bedarf an Braunkohle beträchtlich. 1870 wurde Leipzig mit über 100.000 Einwohnern zur Großstadt.
Braunkohle 100 Jahre Energielieferant
Während der Zeit des Nationalsozialismus und des zweiten Weltkriegs, aber auch währen den 50 Jahren des Bestehens der DDR, blieb die Braunkohle DER Hauptenergielieferant in der Region.
Aus Bergbau wird Tagebau
Steigende Material- und Lohnkosten und geringer werdende Ausbeuten im Tiefbau führten dazu, dass man im Laufe der Jahre immer mehr zum Tagebaubetrieb überging und hier die Mechanisierung in großem Umfang vorantrieb.
Mega-Bagger und Abraumförderbrücken werden eingesetzt
Um die Abraumleistung zu steigern, kamen immer größere Schaufelbagger und Abraumförderbrücken zum Einsatz – wie der Eurobagger 617. Der Gigant wurde 1955 in Betrieb genommen. Mit ihm konnten bis zu 55.000 Kubikmeter Material abgeraumt werden – pro Stunde!
Abbau ohne Rücksicht auf Verluste
Jetzt waren die Betriebe in der Lage, die Kohle auch dort im Tagebau zu fördern, wo man sie früher auf Grund der Deckgebirgsverhältnisse nur im Tiefbau gewinnen hätte können. Die Decken der Abbaugebiete wurden einfach mit abgetragen. Krater von gigantischen Ausmaßen entstanden – sie waren im Südraum Leipzig bis zu 100 Meter tief. Um sie möglichst lange trocken zu halten, wurden die Grundwasserspiegel großflächig künstlich abgesenkt.
44 Millionen Kubikmeter Erdreich bewegt
Insgesamt wurden im Tagebau von 1955 bis 1975 440 Millionen Kubikmeter Erdmassen bewegt. Die Hälfte alleine vom Eurobagger. Er wurde 1975 verschrottet. Seine Umsetzung in ein anderes Abbaufeld war auf Grund der enormen Größe nicht möglich.
Dramatische Folgen für Mensch und Natur
Die Braunkohleförderung führte zu einer unvergleichlichen Zerstörung von Landschaft und Gewässern. Der „Landschaftsverbrauch“ aller Braunkohlentagebaue des Südraums Leipzig betrug in etwa 18.000 Hektar. Viele Ortschaften fielen dem Tagebau zum Opfer. Tausende Menschen wurden umgesiedelt – ob sie wollten oder nicht.
Für Jahrzehnte gezeichnet
Die Industrieregion war für Jahrzehnte von Landschaftszerstörung, Grundwasserabsenkungen, Flussverlegungen und einer dramatischen Verschmutzung von Luft und Wasser gezeichnet. Von der rücksichtlosen Ausbeutung der Natur zeugten schwarze, staubbedeckte Dörfer und Städte, abwasserschäumende Flüsse, Bäche und Kanäle sowie Mondlandschaften von unvorstellbarer Größe und Tristesse
Von der Wasser- zur Abwasserregion
Die Industrieabwässer wurden jahrzehntelang in die Fließgewässer eingeleitet. Zahlreiche Flüsse, wie Pleiße, Weiße Elster und Gösel verkamen zu Abwasserkanälen. Das Flusseinzugsdelta der Pleiße gehörte seit den 1950er Jahren zu den Gebieten mit der höchsten Abwasserbelastung in Europa.
Mit der Wende das Ende
Mit der politischen Wende in der DDR und der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland 1989 kam auch das Aus für den Tagebau. Die Tagebaue und Veredlungsanlagen mussten mangels Wirtschaftlichkeit und ökologischer Verträglichkeit quasi unvorbereitet innerhalb kurzer Zeit stillgelegt werden. Das volle Ausmaß der Zerstörung und Verwüstung wurde erst jetzt ersichtlich.
Chancen, Perspektiven – und Probleme
Mit dem Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft ergaben sich viele Chancen und Perspektiven, aber auch Probleme. Es mussten riesige Rekultivierungsdefizite aufgearbeitet, Unmengen an Altlasten beseitig und enorme Sicherheits- und Grundwasserprobleme bewältigt werden.
Sanierungsbergbau bis dato ein Fremdwort
Im Deutschen Bundesbergbaugesetz ist geregelt, wie die Bergbaubetriebe nach der Stilllegung zu sanieren sind. Den „Braunkohlesanierungsbergbau“ hatte es in der DDR aber nur auf dem Papier gegeben. Praktisch war er nie durchgeführt worden. Realisierbare Konzepte gab es nicht.
Massendefizit zum Auffüllen der Halden zu groß
Teile der technischen Anlagen konnten rückgebaut oder gesprengt werden. Die riesigen Tagebaurestlöcher wieder aufzufüllen war jedoch unmöglich, denn der Abraum reichte dafür nicht aus. Das sog. Massendefizit war zu groß. Das ist die Volumendifferenz durch die entnommene Braunkohle. Ein dauerhafter Betrieb der Sümpfungspumpen war aus Kostengründen ebenfalls nicht möglich. Eine wirtschaftlich machbare und nachhaltige Lösung musste gefunden werden.
Fluten der Tagebaue die wirtschaftlichste und nachhaltigste Lösung
Um die Landschaft nach der Kohle mit realisierbarem Aufwand möglichst naturnah und nachhaltig zu gestalten, favorisierte man schließlich den Ansatz, die ehemaligen Tagebauen zu fluten und so große, teils untereinander verbundene Seen entstehen zu lassen. Die Idee vom Leipziger Neuseenland war geboren.
Wasser Marsch
Die Flutung der Restlöcher allein mit Grundwasser hätte Jahrzehnte gedauert. Dabei hätte es Standsicherheitsprobleme in den Uferbereichen gegeben und das Risiko, dass die Seen versauern. Die Entwicklung eines gesunden Fisch- und Pflanzenbestands wäre so nicht möglich gewesen. Deshalb entschied man sich frühzeitig für eine Flutung mit Oberflächenwasser aus Flüssen sowie mit Grundwasser aus noch aktiven Tagebauen. Dadurch konnten die Flutungszeiten erheblich verkürzt werden.
Entdecken Sie mehr über die Geschichte des Neuseenlands.